Vom Ochsenbauer zum Bierbrauer oder die Cowboys von Rheinhessen
von Steffen Karl
Die Familie Karl betreibt Landwirtschaft in Mainz – Ebersheim seit etwa 1820, wahrscheinlich aber bereits mindestens eine Generation vorher. Die Existenz des Betriebes, der heute 9 ha Weinbau und 35 ha Ackerbau mit Zuckerrüben und Sommerbraugerste aufweist, gründet sich auf drei besonders nennenswerten Glücksfällen:
Überleben in den Kriegsjahren
Da ist zum einen das Überleben des Großvaters Edmund Karl im Zweiten Weltkrieg. Mit gerade einmal 17 Jahren war er, wie so viele seiner Altersgenossen, zum Kriegsdienst verpflichtet worden. Als Frontsoldat der 1944 neu ausgehobenen Volksgrenadierdivision musste er dem Vorrücken der Alliierten mit weit unterlegenen Mitteln an der Westfront entgegentreten. Dem Tod durch feindlichen Beschuss u.a. während der Ardennenoffensive 1944-45 oftmals nur knapp entkommend, durfte er im Juli 1945, aus alliierter Gefangenschaft entlassen, seine Heimat und die geliebten Weinberge wieder sehen. Den Tag seiner Heimkehr kann Edmund auch heute noch genau beschreiben. Während Eltern und Schwestern in den Feldern in tiefer Trauer über das unbekannte Schicksal des 18jährigen Soldaten arbeiteten, saß der ausgehungerte Heimkehrer in der Küche und verspeiste genüsslich einen kompletten Schwartenmagen der letzten Schlachtung.
Die beiden anderen Glücksfälle gehen auf das Konto seines Vaters Johann Peter Karl, dem Jahrgang 1899 angehörend. Nicht nur, dass der Veteran als Flakhelfer zur Heimatverteidigung bis zum Kriegsende 1945 bereitstehen musste. Bereits 27 Jahre vor seinem Sohn war er als junger Mann an der Westfront dem Massensterben in Kaisers Namen im Ersten Weltkrieg ausgesetzt.
„Peter, jetzt wird´s höchste Zeit“ – mit diesen Worten der älteren Landser wurde Johann Peter aufgefordert, nach Jahren des Stellungskrieges den Schützengraben zu verlassen. Denn zum ersten Mal in der Kriegsgeschichte fuhren bei Cambrai Panzer über die Stellungen der Deutschen. Mit Bajonetten war dem nicht mehr beizukommen. Der Frontrückzug auf breiter Linie läutete das Kriegsende und die Heimkehr ein.
Die glückliche Fügung einer Kriegsheimkehr war seinem Bruder Georg nicht vergönnt: er fiel mit 32 Jahren im Dezember 1914 bei der Überquerung des Flüsschens Bzura in Polen, auf dem Russlandfeldzug. Als Reserveinfanterist des vierten Großherzoglich Hessischem Infanterieregiment 118. war er erst 2 Wochen vorher an die Ostfront transportiert worden, nachdem der Vormarsch an der Westfront seit September 1914 und somit auch der Schlieffen-Plan zum Erliegen gekommen war. Er musste eine junge Familie hinterlassen. Seine kleine Tochter war gerade 4 Wochen alt geworden.
Der zweite Glücksfall, der auf Johann Peter Karl bezogen zurückgeht, war glücklicherweise eher biologischer denn kriegerischer Natur: er war in seiner Generation im Ort als “Karls Nohwaks“ – Karls Nachwuchs – bekannt.
Vater mit 54 Jahren
Diesen Spitznamen verdankte er seinen Eltern. Denn weder der Vater Nikolaus Karl II. (Jahrgang 1845), noch seine Frau Katharina, geb. Dapper, (Jahrgang 1853) konnten glauben, dass sie in ihren gesegneten Lebensjahren 54 und 46 noch einmal Kindersegen erwarten durften. Die dunklen
Wintermonate damals waren wahrscheinlich strenger als heute, und das Fernsehen war auch noch nicht erfunden, und so trug es sich zu, dass sich zu den 18 und 15 Jahren älteren Brüdern im Karlchen Stammhaus in der Laurentiusstraße noch ein kleiner Bub hinzugesellte. Eine kleine Sensation, damals wie heute.
Der “Spätgeborene” heiratete seine gleichaltrige Frau Elisabeth, geborene Vollmer. Und somit brachte er neben seinem guten Namen Karl auch seine landwirtschaftlichen Kenntnisse mit in die Neugasse 11, die bis dato von den Familien Vollmer und davor Lasser bewohnt war. Es waren also mindestens
zwei Generationen lang die Damen, die die Hoftür den jeweils Auserwählten öffneten und deren Namen nach der kirchlichen Trauung annahmen.
Deren Berufe waren fleißige Tischler und Maurer, die durch Zukäufe umliegender Gartenstücke die Neugasse 11 in Ebersheim zu einer kleinen Hofreite aufgebaut hatten.
Kuh statt Kurfürst
Eine der dem Hof zugehörenden Stammnamen Lasser geschuldete mögliche Verbindung in den österreichischen Adel, in der es ein weit entfernter Verwandter sogar zum Innenminister seiner kaiserlichen Majestät Franz I. von Österreich und seiner Gattin Sissi gebracht haben soll, bleibt eine liebgewonnene Spekulation. Wahrscheinlicher allerdings ist eine Beziehung zum kurfürstlichen Hof in Mainz, wo ein Lasser als Hofrat unter Kurfürst Johann Philip von Schönborn (1605 – 1673) historisch nachweisbar ist, und in Bezug auf den Aufenthalt des Universalgelehrten Gottfried Wilhelm Leibniz in Mainz genannt wird.
Unter welchen Umständen die Lassers als Beamte den kurfürstlichen Hof verlassen mussten, kann nicht mehr geklärt werden. Hatten sie sich mit dem nachfolgenden Kurfürsten überworfen? Waren die besetzenden Schweden oder die Franzosen der Grund? Jedenfalls spätestens nach den Revolutionskriegen und der Vertreibung des Kurfürsten und seinem Staat aufgrund der französischen Besatzung schienen sie dazu gezwungen worden zu sein, vom kurfürstlichen Beamtentum zum Handwerk und zusätzlicher Landwirtschaft „umzuschulen“, und sich in Ebersheim niederzulassen.
Somit stand statt Berichten an den Kurfürsten die tägliche Versorgung von Milchvieh, Pferden, Schweinen und Geflügel auf der Tagesordnung.
Ebenso die tägliche harte Feldarbeit vor oder nach der Handwerkstätigkeit. Dies wurde nur unterbrochen vom sonntäglichen Kirchgang, und dem seltenen abendlichen Besuch einer Bier- oder Weinwirtschaft. Aber nur dann, wenn die liebe Gattin hier grünes Licht für gab. Denn „Eingeheiratet sei wie ein verlorener Krieg“, so das augenzwinkernd gemeinte Motto der männlichen Familienmitglieder, das sich über Generationen gehalten hat.
Militärdienst für Pferde – Zivildienst für die Ochsen
Auch wenn Pferde anmutiger und schneller in der Arbeit waren, die Familie Karl verdankt ihr Einkommen in der Gründerzeit bis nach dem Zweiten Weltkrieg vornehmlich der Kraft ihrer Ochsen. Dies aus einem einfachen Grund: in den Kriegen seit der Reichsgründung waren es immer wieder die Pferde, die vom Militär eingezogen wurden, um Geschütze zu transportieren. Zuletzt 1939 wurden unglaubliche 1850 Reichsmark für Hans, ein besonders großes Kaltblut belgischer Rasse gezahlt, das daraufhin den Militärdienst antreten musste. Mit dem nicht gerade klein gewachsenen Johann Peter ist er auf einem Bild aus den 30er Jahren zu sehen: Der Mister ohne englische Sprachkenntnisse bringt mit Hilfe eines Leiterwagens und dem großen Belgier den angefallenen Dung in Richtung Felder.
Wie nah die Tiere mit den Menschen verwurzelt waren, belegt folgende Begebenheit:
Nach dem Verkauf des Pferdes an das Militär sattelte Johann Peter eines Sonntags sein Rad, setzte den elfjährigen Edmund drauf und radelte nach Mainz in die Kaserne. Hier wurde Zutritt zum Stall gewährt, der voll mit eingezogenen Pferden war. Das Tier war zunächst nicht zu finden. Doch ein lauter Ruf „Hans“ genügte, ein Wiehern aus der hintersten Ecke war die Antwort an die zweibeinigen Herdenmitglieder. So konnten sich Menschen und Tier noch einmal im Angesicht der bevorstehenden Kriegsgeschehnisse voneinander verabschieden.
Somit waren es die Ochsen Max, Felix und Hans, die den Kriegsdienst verweigern durften, und stattdessen die Feldarbeit bis ins Wirtschaftswunder hinein ausführten. Edmund pflügte bereits im zarten Alter von 13 Jahren mit den gutmütigen Zugtieren. Sein Großvater mütterlicherseits, Peter Vollmer, auch als „Ochsen-Peter“ bekannt, hatte ihm den Umgang mit den Rindern vermittelt. So musste ein junger Ochse erst langsam an das Kummet gewöhnt werden, welches er zunächst stets abzuwerfen versucht. Später dann musste sich das Tier an die Zuglasten gewöhnen. Hierfür wurde eine hinter das Hörnertier angebrachte Stalltür verwendet, auf die sich die „rheinhessischen Cowboys“ stellten, um mal mehr oder weniger Last dem Tier aufzubürden. Im wilden Ochsengalopp ging es dann durch die ganze Ortschaft. Erst wenn die verwegene Fahrt langsamer wurde, sah die Bewegung allmählich einer Feldarbeit ähnlich.
Dass so ein Ochsengespann aber auch repräsentativ sein konnte, zeigt Bild 3 welches etwa 1912, also eine Generation vorher, entstand: es zeigt die Familie auf dem Weg zum Verwandtenbesuch oder zu einer Wallfahrt in eines der Nachbarorte. Nicht nur die Mitfahrer haben sich fein gemacht. Auch der schwarze Ochse ist sauber eingespannt, das Geschirr ist geputzt und das Leder sorgfältig eingefettet. Und selbst das gereinigte Zotteltier strahlt eine sonntägliche Anmut aus, als wüsste es um die Besonderheit des Tages.
Verschleppung und Ermordung der Nachbarschaft
Als junges Mädchen ist auf dem Bild Elisabeth Vollmer, die spätere Ehefrau von Johann Peter, zu erkennen. Tief verwurzelt im katholischen Glauben, und unter dem Eindruck des Ersten Weltkriegs, war es für sie nicht nachvollziehbar, wie in der Nazizeit mit der jüdischen Nachbarschaft verfahren wurde. Die Ebersheimer jüdischen Glaubens waren in das Dorfleben und den Vereinen fest integriert. Gerne unterstützte man sich und sonntags wurden Besuche getätigt. In einer Zeit der Entbehrungen waren die Suppenknochen wertvoll, welche stets nach Mithilfe bei Schlachtungen nach Hause mitgegeben wurden. Eine Schande und traumatisch war für sie zu sehen, wie die Waren der stets freundlichen Nachbarsfrau in der Reichskristallnacht auf das Pflaster der Neugasse geworfen wurde, die Fenster der Mitbürger zertrümmert und die kleine Synagoge in Flammen aufging. Vor dem endgültigen Abtransport in die Ungewissheit, die die Ermordung in den Vernichtungslagern bedeuten sollte, wurden die Menschen der Nachbarschaft in Wohnblöcken in Mainz kaserniert. Hier ließ sich Elisabeth nicht von untersagten Besuchen abhalten, um die Bekannten mit Eiern und anderen Lebensmitteln zu versorgen. Hier schien sie von NS Befürwortern gesehen worden zu sein, die Folge war die Verweigerung von Versorgungsmarken für den Bezug von allgemein rationierten Waren. Leider waren weitere Repressalien zu erwarten, da es Elisabeth sich nicht verkneifen konnte, während einer NS-Kundgebung in der Winzerhalle ein öffentliches Anzweifeln der italienischen Koalitionsfähigkeit nach den Erstweltkriegserfahrungen zu betreiben. Warnungen von anderen Mitbürgern bewahrten sie wahrscheinlich vor Haft wegen Wehrzersetzung. Als Folge dieser Erlebnisse war ein weniger couragiertes Verhalten die einzige Alternative. Kopf einziehen und Überleben lautete fortan die einzige Devise, um den Krieg zu überleben.
Ende einer jahrtausendealten Kulturgeschichte
Früh erkannte Edmund nach der Heimkehr aus der Kriegsgefangenschaft 1945 und seiner Heirat mit Katharina geb. Berz (Jahrgang 1925) das große Potential der Motorisierung und Mechanisierung in der Landwirtschaft. Zunächst waren es zwar wieder die Pferde, die die Ochsen als Schwerarbeiter des Betriebes nach Kriegsende verdrängten. Doch war es schließlich ein 1950 auf dem Hochheimer Markt erworbener Traktor der Marke Allgaier, der die reine Zugtierhaltung endgültig der Vergangenheit angehören ließ. Wenn man bedenkt, dass der Einsatz von Zugtieren ein wesentlicher Faktor zur Sesshaftwerdung in der Menschheitsgeschichte bedeutete, so war dieser einschneidende Schritt gleichzusetzen mit dem Ende des Kapitels einer jahrtausendalten Kulturgeschichte. Wie tief aber der Umgang mit den Tieren in den Köpfen verwurzelt war, konnte man bei Urgroßvater Johann Peter sehen, der hier und da noch tierspezifische Kommandos wie „Hüh“ und „Hott“ dem Traktor zugerufen haben soll…
Der Allgaier R22 (mit 22 PS) war der erste fabrikneue Schlepper in Ebersheim, und der zweite Traktor im Dorf. Der viereckige Motor ohne Motorblock hatte noch keinen Anlasser und musste klassisch erst angekurbelt werden. Söhnchen Robert war von dem „Plopp-plopp-plopp“ – Taktgeräusch jedes Mal derart entzückt, dass das Kleinkind bei jedem Start im Zündrhythmus hüpfen musste.
Dicke Koteletts für PS
Viele andere Landwirte waren skeptisch, doch als sie sahen, dass der R22 zuverlässig lief, wurde dem Beispiel gefolgt. Bereits wenige Jahre später war ein Landwirt ohne Schlepper undenkbar geworden. Der Betrag für die Maschine konnte erwirtschaftet werden, da dank der Schweinezucht die dicksten und fettesten Koteletts an die Gastwirtschaften der Umgebung geliefert werden konnten. Dies entsprach durchaus dem Zeitgeist nach dem Ende der Hungerjahre der Nachkriegsära. 10.000 DM kostete der R22, mit der Schlachtung von sieben Schweinen und drei Rindern konnte der Preis gestemmt werden. Ein zweiter Traktor der Marke Kramer kam im Jahre 1954 hinzu: Da dieser Kramer, ebenfalls mit einem Verdampfermotor ausgestattet, nun bereits einer veralteten Technik angehörte (die neuen Traktoren arbeiteten bereits mit mindestens Zweizylindern), konnte das funktionsfähige Stück für schlappe 400 D-Mark vom Schrotthandel erworben werden, mitfinanziert von einem der Nachbarn. Den alten Kramer bewahrt die Familie Karl noch heute wie eine Reliquie auf. Nur bei Festumzügen wird die riesige Schwungscheibe angeworfen, um den Zuschauern eine Ahnung alter Feldtechnik zu vermitteln. Es ist ein echter Hingucker, wenn das Gefährt mit dem auffallend tiefen Kolbengeräusch
an den Zuschauern vorbeituckert.
Stetige Maschinisierung und Aussiedlungen in den Wirtschaftswunderjahren
In der Zeit des Wirtschaftswunders gelang es Edmund mit seiner Frau Katharina, den Betrieb, der aus erbtechnischen Gründen und den noch nicht verkrafteten Verlusten nach dem Börsencrash 1929 sehr kleinbäuerlich geraten war, entscheidend voranzubringen. Der Klafter unkultiviertes Land kostete damals noch 1 DM, und so entstanden Wingerte auf vorher öden steinigen Feld, vornehmlich in der Gemarkung Loh, in deren Nähe später die Reste einer keltischen Ansiedlung freigelegt wurden. In den sechziger Jahren war man einer der ersten Aussiedler 1964 aus der bäuerlichen Dorfstruktur in die damals noch unbewohnte Sörgenlocher Hohl 5, kurz die “Schinnkaut” genannt, da hier verendete Haustiere, die nicht mehr geschlachtet werden konnten, begraben wurden. Da Edmund mehr und mehr der Maschinenspezialist wurde, und sich in den Wintermonaten bei der Fa. Böhmer in Alzey als Praktikant sein notwendiges technisches Wissen aneignete, war Katharina die treibende Kraft für die nach wie vor anfallende Handarbeit rund um Betrieb und Haushalt. Nicht nur Kinder und Vieh wurden versorgt, es musste vor allem die dem Jahresrhythmus unterworfene Wingertsarbeit bewältigt werden.
Nach Edmunds Rebschnitt mussten die Wingerte vom Schnittholz befreit werden. Mit der Zeit der ersten Rebtriebe im Frühjahr mussten diese gebogen werden. Im Frühsommer folgte das Heften, und später das Schneiden der zu lang gewordenen Reben, was auch zunächst noch per Hand durchgeführt wurde. Zur Zeit der Lese war es nicht nur das Schneiden der Trauben. Es war auch die Organisation der Helfer, Bereitstellung von Verpflegung für die Mannschaft, von Eimern, Sitzen und Rebscheren. „Die Frau hat dich reich geschafft“ so war die einhellige Meinung im Ort zu den Leistungen seiner Frau, die Edmund nicht selten vernehmen durfte, gerne von einem neu angeschafften Traktor herunterschauend. Schließlich musste er als damaliger Vorsitzender der Ebersheimer Winzergenossenschaft immer auf dem aktuellen Stand landwirtschaftlicher Technik sein.
Früh mussten die Söhne Robert (1949) und Peter (1950) in der Landwirtschaft mitanpacken. Dennoch durften beide ein Instrument erlernen, und auch dem Radsport frönen. Ein weiterer Meilenstein in der Familiengeschichte, denn „Hobbys“ (das Wort allein war ja schon unbekannt) vorhergehender junger Generationen beschränkten sich auf Schnitzarbeiten in der Winterzeit. Während Robert ein Ingenieursstudium aufnahm, blieb Peter dem Betrieb erhalten. Den Gedanken der Maschinisierung griff er wieder auf, indem er die Weinlese mit der Einführung des ersten Trauben-Vollernters, für den Betrieb als auch in Lohnarbeit, in Ebersheim 1986 deutlich rationalisierte. Die weinselige Traubenlese
in einer Erntegemeinschaft war somit Geschichte geworden. Ähnlich wie die Neugasse, die 1964 zu klein für die Betriebsentwicklung hinsichtlich der Unterstellmöglichkeiten von Geräten, als auch der Umsetzung neuer Ideen wurde, siedelte Peter ebenso aus: 1998 entstand das Anwesen am Reiterweg 7 am Kleingewann, in unmittelbarer Nähe zum Reitplatz in Mainz-Ebersheim.
Bier aus dem Weinland Rheinhessen für Al Capone
Innovativ bleiben im Zeichen von Globalisierung, EU-Osterweiterung und stetig sinkender Erzeugerpreise: dies ist das Motto von Ururenkel Christian, der es als diplomierter Betriebswirt in Teamarbeit mit seinem Vater Peter besonders versteht, dem Betrieb komplett neue Impulse zu verleihen. Dem grünen Zeitgeist folgend gab es zunächst etwas aufs Dach: man nutzte seit dem Jahr 2004 das Hallendach zum Tragen einer Photovoltaik Anlage mit insgesamt 65 kWp – der Betriebszweig Energiewirtschaft war geboren.
Der Unmut über stets schwankende Braugerstenpreise trotz hervorragender Qualität war die Triebfeder zur eigenen Bierproduktion. Bier im Weinanbaugebiet Rheinhessen? Vollkommen unmöglich? Dies stimmt nicht. Mainz war vor dem Krieg für seine Brauereidichte bekannt, und beherbergte das deutschlandweit größte Hofbräuhaus außerhalb von Bayern. Und in Ebersheim selbst entstand das in den USA bekannte „Sieben´s Real Lager Beer“. So beginnt die Geschichte der Chicagoer Brauerei, die noch heute in einem Atemzug mit der Prohibitionszeit um Al Capone in den 1920er Jahren genannt wird, wie folgt: „Michael Sieben immigrated to the United States in 1860 from Ebersheim, Germany, a village southwest of Mainz…..”
Ein Rheinhessen-Bräu Bierchen für den Uropa
Und genau wie das Sieben-Bier wurde ab 2007 das Rheinhessen-Bräu zu einer Erfolgsgeschichte. In einer ausgesprochenen Weingegend zum Lieblingsbier der Winzer werdend, musste bereits 2009 die erste kleine Brauanlage einer größeren weichen, die nun mit 1000l an einem Sudtag die vierfache Kapazität aufweist. Somit war aus einem anfangs „sehr teuren Hobby“ (als schwacher Trost für die hohen Anfangsausgaben bei ungewissem Ausgang) – ein tragender Geschäftsbereich geworden.
Ein Braumeister konnte 2010 fest eingestellt werden. Seine Aufgabe ist es, ganzjährig aus der betriebseigenen Braugerste ein helles und ein dunkles Frischbier zu produzieren, als auch nach Saison Maibock, Winterbock, Biere nach Pilsener Brauart oder spezielle Festbiere zu kreieren. Auch ein Weizenbier kann verköstigt werden. Das Ergebnis sind unfiltrierte handwerkliche Biere, die statt Konservierungsstoffe seine wertvollen Hefen als auch alle Eiweiße und Mineralstoffe enthalten. Der Vertrieb in Fass oder Flasche erfolgt neben dem Ab-Hofverkauf derzeit über Lebensmittel-Supermärkte, die regionale Produkte anbieten wollen. Weiterhin läuft der Vertrieb über Getränke Fachhandlungen und Gaststätten. Ebenso werden Feste inklusive Ausschankwagen beliefert.
Heute betreibt die Familie Karl die Landwirtschaft von den Standorten in der Sörgenlocher Hohl als auch am Reiterweg in Ebersheim. Und Uropa Edmund war bis zu seinem Tod (er verstarb im Sommer 2016 im stolzen Alter von 89 Jahren) nicht von der Arbeit im Weinberg abzuhalten. Dabei verschmähte er natürlich auch einen Schluck Bier nicht.
Und wer weiß, vielleicht ist in nachfolgenden Generationen mal wieder ein Cowboy dabei!